„Where is my Ken?“

(Solo exhibition, Schellingstraße 3, 150cm x 106cm, Munich, Germany )

Interview mit Jaemin Lee, südkoreanischer Maler aus München über „Where is my Ken?“, der Ausstellung vierer großer Gemälde in den Schaukästen an der Schellingstraße 3 beim LOST WEEKEND in München.

Q: Herr Lee, es gibt etwas Neues von Ihnen zu sehen nach Ihrer sehr erfolgreichen Diplomausstellung in der Kunstakademie… „Where is my Ken?”

J: Ja, ich freue mich, die vier großen Schaukästen an der Schellingstraße mit meinen Arbeiten bespielen zu können. Hier kann Kunst unmittelbar wirken, ohne ein gewisses weihevolles Vorhaben, ein Kunstgebäude, eine Galerie oder etwa ein Museum betreten zu müssen. Man ist ja sowieso gehandicapt zur Zeit. Das fand ich sehr reizvoll. Vor allem in den Abendstunden wirkt dieser Ort sehr präsent. Alles was man hier sieht ist ein Statement. Auch durch die Beleuchtung ergibt sich eine punktuelle Wirkung… der Blick wird nur wenig abgelenkt.

Q: Was ist das für ein Statement, fast in Rufweite zur altehrwürdigen Akademie, mitten in München unter viel urbaner Dynamik?

J: Ein Thema, das tief in mir geschlummert hat und das ich auch bereits in einer Gruppenausstellung vor einigen Wochen in den Domagkateliers in anderer Form präsentiert habe. Es hat seinen Ursprung in meiner Kindheit. Kindheitserinnerungen können zum Teil sehr mächtig und hartnäckig sein und sind manchmal in der Lage unser gesamtes späteres Leben zu beeinflussen. 

Q: Kunst als Aufarbeitung von Vergangenheit?

J: Vielmehr Aufarbeitung von Bildern, die heute als Künstler mit doch schon einiger Lebenserfahrung besser geordnet werden können, mit meinen Mitteln, den Mitteln des Malers. Als ich fünf Jahre alt war, habe ich mir sehnlichst eine dieser kleinen Barbiepuppen gewünscht. Als Junge in einer sehr klassisch konservativ strukturierten Familie schon ziemlich speziell (lacht).  Künstler leben ja manchmal ziemlich inwendig und sind in der Lage, sich vielleicht einfacher Luftschlösser zu bauen als andere. Auf jeden Fall habe ich dazu diese Barbie gebraucht, deren imaginäre Sozietät mich extrem fasziniert hat — übrigens nach hartnäckigem Insistieren auch bekommen —. Die vollkommene Überdehnung dieser Perfektion hat mich schon als Kind bewegt. Davon, dass ein lebendiger Mensch mit diesen Maßen nicht überlebensfähig wäre, hatte ich mir damals noch kein rechtes Bild machen können.

Q: Was speziell war es, das Sie so fasziniert hat?

J: Als Mensch und Künstler, für den der Mensch als Sujet meist zentral im Mittelpunkt steht, haben mich die täuschend echte Hautfarbe, die matte Haptik der Beckenpartie, in der alle Extremitäten verankert sind, das zarte Knacken der Gelenke, das feine, fast lebensechte Gesichtchen, die wilde Mähne, die zarten Glieder und die magischen, nach westlicher Kultur angelegten Proportionen elektrisiert… ganz zu Schweigen von den Möglichkeiten, als sozusagen Avatar imaginär die unterschiedlichsten Kleider, Kostüme und Roben zu tragen, die fantasievoll, mit Paletten, Perlenund übertriebenen Accessoires bestückt sind. In meinem eigenen, schlichten kleinen Leben hätte ich mich in der Realität nicht im Traum mit alldem umgeben können…    

Q: Gut. Das war die Faszination des Kindes. Was ist beim gestandenen Dreiunddreißigjährigen geblieben von diesen Befindlichkeiten?

J: Hm, vielleicht die Melancholie und stille Traurigkeit, weil mit sachlicher Betrachtung die leblose Puppe unweigerlich im Vordergrund steht. Sie wird ja nur durch unsere Imagination lebendig. Die stoisch stumme Haltung, das retortenmäßig gleiche, aristokratische, tote Ideal — nach dem ich für mich rein äußerlich betrachtet eigentlich immer strebte und was mich persönlich motivierte, und für das ich mir immer Anerkennung erhoffte — ist faszinierend und gleichzeitig ein bisschen beängstigend. Voller Reize für den Künstler.

Q: Die Malweise wirkt aus der Nähe kritzelig und etwas diffus, aus der Ferne betrachtet dominiert das Symbolhafte.

J: In der koreanischen Kultur ist das Streben nach Perfektion ganz tief angelegt. Ich wollte mit dieser Malweise einen Prozess zeigen, der aus einer immer währenden Bewegung heraus entsteht. Daraus kam die Haltung, dass dem sogenannten Perfektionismus die Lebendigkeit entgegen steht, weil wir nun mal so sind wie wir sind. Also nicht perfekt. Ein Paradox. Um diese Frage dreht sich viel in meiner Malerei und in meinem (künstlerischen) Leben überhaupt. Wir können tun was wir wollen, wir bleiben doch immer wer wir sind, wie auch der Hintergrund beschaffen sein mag. Das gilt auch für das WAS wir tun. Für mich als Künstler ist die Barbie auf jeden Fall eine ideale Metapher. 

Q: Das ist ja fast ein faustischer Ansatz…

J: Ja, ich weiß auch als Koreaner, was Sie hier meinen. Die beiden Teile des Faust sind mir durchaus geläufig: Im Studierzimmer zum Beispiel belehrt Mephistopheles Faust, nachdem er ihn bereits ein wenig gefoppt hat: „Du bist am Ende was Du bist, setz Dir Perücken auf von Millionen Locken, setz Deinen Fuß auf ellenhohe Socken, Du bleibst doch immer, was Du bist!“ Eine beeindruckende Wahrheit (lacht).

Q: Beeindruckend! Gerade in diesen Zeiten, in denen uns die sogenannten ’neuen Medien’ suggerieren wollen, wie wir uns mit der Perfektion unseres eigenen Ichs zu beschäftigen haben… Können Sie uns zum Schluss noch etwas über den Titel der Ausstellung sagen „Where is my Ken?“?

J: Ken steht selbstverständlich für alles was man im Leben sucht. Die Sehnsucht vielleicht nach einem Ziel, dem Sinn, nach Wahrheit, Liebe, wie physische und psychische Standfestigkeit im Leben zu erreichen ist… nehmen Sie was Sie wollen.

Q: Herr Lee, vielen Dank für diese Einblicke und viele interessierte Betrachter dieses außergewöhnlichen Kunstbeitrages für die Stadt München und das leider durch Corona gelähmte LOST WEEKEND.